Immer mehr Kleintiere «Wegwerf-Artikel»
Düsseldorf/Münster/Essen Moses ist seinen Besitzern vermutlich zu groß und dick geworden.
Das üppige Karnickel versucht, sich in seinem kleinen Holzhaus zu verstecken.
Ein plüschiges braunes Ohr schlappt aus dem vorderen Ausgang und ein bisschen Kaninchenfell quillt aus dem hinteren Fenster. Wäre Kaninchen Moses noch so klein und süß anzusehen wie im Schaufenster, würde er die Sommerzeit wahrscheinlich nicht im Tierheim Düsseldorf verbringen. Tierschützer sind genervt, dass Kleintiere immer mehr zur Wegwerf-Artikeln werden.
Es herrscht wieder Hochsaison in den Tierasylen. Am traurigen Anblick der im Sommer traditionell gut gefüllten Hundekäfige hat sich fast nichts geändert: Rund 125 000 Katzen und 77 000 Hunde haben die Tierheime des Tierschutzbundes bundesweit im gesamten Jahr 2007 aufgenommen. Diese Zahl ist seit Jahren in etwa gleichbleibend. Dramatisch sieht es allerdings seit Neustem bei Goldhamstern, Meerschweinen, Zwergkaninchen und Ziervögeln aus: 50 000 abgegebene Kleintiere waren es im vergangenen Jahr - ein Drittel mehr als im Vorjahr.
Und diese Entwicklung scheint sich in diesem Jahr fortzusetzen: «Wir stapeln hier die Kleintiere», sagt Bernd Schinzel, Leiter des Tierheims Köln-Dellbrück. Man brauche mehr Platz für Nager und Vögel, klagen auch Tierheime in anderen Regionen zwischen Rhein und Weser. «Wir sind pickepackevoll», sagt etwa Münsters Tierheimleiterin Andrea Neugebauer.
Ihre Kollegin in Essen kämpft mit den selben Problemen. Ein unerwarteter Wurf Junge, eine Allergie oder schlichtweg das fehlende Interesse an dem ausgewachsenen Tier seien die Hauptgründe, sich vom kleinen Mitbewohner zu trennen, so Silke Pett vom Essener Tierheim.
Wer an der Flut der später ungeliebten Kleintiere profitiert, ist für die Tierschützer glasklar: Zoohändler und sogar Baumärkte mit Tierabteilungen würden Kleintiere immer stärker anpreisen und das Geschäft mit Tierzubehör ausbauen, meint der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, in Bonn.
Der Kölner Heimleiter Schinzel ist sauer auf die Händler: «Die Tierheime platzen vor lauter Tieren, und da werden sie noch produziert, weil es lukrativ ist.» Der Handel setzte auf den Niedlichkeitsfaktor. Ob die Tiere gesund oder kastriert sind, sei den Vermarktern dabei völlig gleichgültig. 300 Kleintiere leben mittlerweile in dem Dellbrücker Tierheim des Bundes gegen Missbrauch der Tiere e.V.(bmt), einem der größten Tierheime landesweit. Zwei Mitarbeiter sind eigens für das Wohl der kleinen Tiere abgestellt.
Auch die kleineren Tierheime haben viel zu tun. 17 Meerschweine sind in der vorigen Woche allein im Tierheim in Münster dazugekommen. Zum Glück erlebt das westfälische Heim seit Beginn der Sommerferien einen starken Besucherzulauf, meint Tierheimleiterin Andrea Neugebauer. Viele Tiere ließen sich da schnell weiter vermitteln.
Bei Hunden hat sich die Situation immerhin nicht mehr verschlimmert, berichten die Tierasyle. Die verpflichtende Kennzeichnung von großen Hunden und der von Kommunen geforderte Nachweis über grundlegende Kenntnisse machten es schwieriger, einen Hund unüberlegt anzuschaffen. Zudem hätten viele Eltern mittlerweile begriffen, dass ein Hund oder eine Katze mehr Aufwand bedeute, meint der Deutsche Tierschutzbund. Anders sei das bei den kleinen Nagern.
Die Tierheime wollen trotz der Belastung nicht um jeden Preis ihre Schützlinge abgeben. Ein Interessent, der beispielsweise ein Meerschwein allein ohne Artgenossen halten will, wird von der Düsseldorfer Tierheimleiterin Katrin Porysiak abgewiesen. Jeder fünfte Wunsch bleibe im Düsseldorfer Tierheim unerfüllt, schätzt sie. Doch dann würden Abgewiesene einfach ins nächste Tiergeschäft gehen und dort zugreifen, sagt die Düsseldorfer Tierheimleiterin seufzend. Von Kristina Kiauka, dpa
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